Schwimmbad Reichelsheim
Am Fuße des Reichenbergs erstreckten sich früher von den Wiesen westlich der Zentscheune (heute Festplatz und Parkplatz der Reichenberg-Schule) in Richtung des Eberbacher Tals drei zusammenhängende Teiche, die der Eberbach mit Wasser versorgte. Sie wurden von ihren Besitzern, den oben auf dem Schloss residierenden Grafen, zur Karpfen- und Hechtzucht für die Versorgung der gräflichen Küche genutzt. Nachdem der letzte regierende Graf von Erbach-Reichenberg 1731 in das Stammschloss nach Erbach übergesiedelt war, verschlammten sie immer mehr und wuchsen mit Schilf fast vollkommen zu. Da sie nicht eingezäunt waren, blieb es nicht aus, dass Kinder in das Wasser fielen und auch Todesfälle zu beklagen waren. Daraufhin wurde der Eigentümer – nach wie vor das Erbacher Grafenhaus – von der Gemeindeverwaltung aufgefordert, entweder eine Umzäunung der Teiche vorzunehmen oder dieselben trockenzulegen. Die Herrschaft in Erbach zog Letzteres vor, zum großen Leidwesen vieler Bewohner von Reichelsheim. So wurden die drei Teiche 1849 trockengelegt. Jetzt erst, nachdem sie verschwunden waren, wurde man auf ihren Wert so richtig aufmerksam.

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Auf Initiative des Odenwaldklubs und später des Verschönerungsvereins gelang es, den oberen (westlichsten) See als Badeanstalt umzubauen: Die Gemeinde erwarb das Gelände von den Grafen, entrümpelte den See und schüttete Dämme auf. In der Mitte des Sees, über einen acht Meter langen Holzsteg erreichbar, errichtete man ein kleines Badehaus mit Umkleidekabinen. Sein Dach diente trotz Verbotes als Sprungbrett. Zur Einweihung 1895 kaufte man sogar ein Ruderboot. Aus Dankbarkeit dafür, dass das gräfliche Haus das Gelände zur Verfügung gestellt hatte, benannte man die Badeanlage nach dem damaligen Grafen „Georg-Albrecht-Teich“. So war eine für damalige Verhältnisse moderne Anlage entstanden, ein Tummelplatz für die Jugend. Auch im Winter tat der See als Eisbahn sein Übriges.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs begann der See zu verwahrlosen. Schilf und kniehoher Schlamm behinderten das Baden immer mehr. Aber erst nachdem ein großes Fischsterben nachdenklich stimmte, entschloss man sich, ein neuzeitliches Schwimmbad zu bauen. Es sollte westlich des alten Sees rechter Hand des Crumbacher Weges (heute Rodensteiner Straße) errichtet werden. Das Schwimmbecken wurde trapezförmig mit einer Gesamtlänge von 92 Metern geplant und setzte sich aus vier Abteilungen zusammen: Kinder-, Nichtschwimmer-, Schwimmer- und Sprungbereich. Unmittelbar neben dem Schwimmbecken war eine dreieckige Fläche zum Sonnenbaden sowie zum Turnen vorgesehen, wofür ein Barren aufgestellt wurde. Mit 13.000 DM wurden enorme Baukosten veranschlagt.

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Den alten Badesee von 1895 schüttete man mit dem Aushub aus dem neuen Becken zu. Da mehr Füllmaterial benötigt wurde als vorgesehen, entstand ein Schwimmbecken von 105 Metern Länge (manchmal finden sich auch Angaben von 114 Metern), einer durchschnittlichen Breite von 43 Metern und einer Gesamtwasserfläche von 4.892 m². Der Beckenboden des Nichtschwimmerbereichs war mit Gehwegplatten ausgelegt, im tieferen Teil mit Backsteinen und dahinter mit Kies. Der Schwimmerbereich blieb naturbelassen. Gespeist wurde das Bad nach wie vor aus dem Eberbach. Auf einem Damm gegen den späteren Sportplatz (heute Reitplatz) hin errichtete man einen drei Meter hohen hölzernen Sprungturm. Die Einweihung dieses Gemeinde-Schwimm-, Luft- und Sonnenbades fand am 4. Juli 1927 statt.
Friedrich Dingeldein II. wurde sein Pächter und Friedrich Weigel aus Beerfurth übernahm das Amt des Bademeisters. Beide mussten nachweisbar gute Schwimmer sein und einen Lehrschein, mindestens aber einen Grundschein der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Berlin besitzen. Das Bad erwarb sich schnell im weiten Umkreis einen guten Ruf. 1930 errichtete man zur Verbesserung des Fremdenverkehrs einen Parkplatz für ungefähr 40 Autos.
Das Schwimmbad von 1927 zeigte von Anfang an einige Mängel. Schon 1928 kam man nicht umhin, den gesamten Nichtschwimmerbereich mit einer Betonmauer zu umgeben; sie rutschte jedoch häufig wieder ab. Die größten Sorgen bereitete der Schwimmerbereich, der aufgrund der unbefestigten Umfassungswände immer wieder verschlammte. Auch alle aus Holz bestehenden Einrichtungen, u. a. Sprungturm und Startbrücke, waren mit den Jahren morsch geworden. Algen und Blutegel siedelten sich im Wasser an. Dies alles machte das Schwimmen nicht zum Vergnügen. Bald blieben zahlreiche Besucher aus. Einem weiteren Verfall konnte nur durch eine großzügige Renovierung entgegen gewirkt werden.
Die Gemeindevertreter diskutierten bereits 1959 unter Bürgermeister Georg Nicklas über eine Instandsetzung und legten verschiedene Richtpläne fest. Ab 1961 konnte das Bad wegen seines baufälligen Zustands nicht mehr eröffnet werden. Die Bevölkerung musste auf die Freibäder der Umgebung ausweichen. Die Verantwortlichen in der Gemeinde gelangten sehr bald zu der Erkenntnis, dass nur ein Schwimmbadneubau infrage kam. Um die benötigte Geldmenge möglichst gering zu halten, entschieden sich die Verantwortlichen 1961 unter Bürgermeister Helmut Born für die Verkleinerung des Beckens auf 50 Meter. Zwar sah die Bevölkerung darin einen Rückschritt, jedoch war nur so ein modernes Freibad zu finanzieren.
1962 und 1963 wurden die Heidelberger und die Darmstädter Straße neu kanalisiert. Mit dem dabei entstandenen überflüssigen Erdreich konnte das alte Schwimmbad aufgefüllt werden. Die Gemeindevertretung stimmte in ihrer Sitzung am 29. Januar 1963 den neuen Schwimmbadplänen zu. Die gesamten Baukosten für das Bad wurden mit etwa 1,1 Millionen DM veranschlagt. Mitte Mai 1963 begannen die Bauarbeiten mit den ersten Erdbewegungen. Am Freitag nach Ostern 1964 (3. April) fand das Richtfest in der Wirtschaft „Zum Grünen Baum“ am Marktplatz (heute Rathausplatz) statt. Die Liegewiese wurde auf 15.000 m² vergrößert. Das Becken mit einer ungefähr 1.000 m² großen Wasserfläche und einem Fassungsvermögen von 1.800 m³ ist für Sporttreibende und für jene, die Spaß im Wasser haben, ein geeigneter Tummelplatz. Gegenüber den früheren Reichelsheimer Schwimmbädern wurde das Beckenwasser nunmehr erstmals in einer Umwälzanlage gefiltert, täglich zweimal umgewälzt und gereinigt. Nun musste noch der am neuen Schwimmbad vorbeiführende so genannte Dammweg (heute Konrad-Adenauer-Allee) verkehrstauglich ausgebaut werden. Er erhielt eine Bitumenkiesdecke und wurde bis zum Haus Eckert als Sackgasse für den Verkehr freigegeben und im Übrigen gesperrt. Am Sonntag, dem 21. Juni 1964 fand die feierliche Einweihung statt. Bademeister wurde Heinrich Bardonner. Ihm folgte 1985 Franz Steiner.

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Zu Beginn des Jahres 1992 wurde auf dem Dach des Funktionsgebäudes eine Solaranlage installiert mit dem Ziel, Heizenergie für die Erwärmung des Beckenwassers einzusparen. Die Kollektoren umfassen eine Fläche von 346 m². Dazu musste das Gebäude verlängert werden. Die Anlage hat sich so gut bewährt, dass man seit einigen Jahren ohne Gasheizung auskommt. Im Laufe der Zeit zeigten sich Abnutzungserscheinungen im Schwimmbad und es entsprach an manchen Stellen nicht mehr den gesetzlichen Bestimmungen. In der Wintersaison 1998/99 wurde die technische Anlage (Filter, Rohrleitungen) überholt und ein Schwallwasserbecken unterirdisch installiert sowie die Wasserumwälzung auf 816 m³ gesteigert. Dieser erste Bauabschnitt kostete 1,4 Millionen DM. Im zweiten Bauabschnitt, während des Winters 1999/2000, wurde für rund 2,9 Millionen DM das Schwimmer- und Nichtschwimmerbecken attraktiver gestaltet und den gesetzlichen Anforderungen angepasst. Dabei wurde das 50-Meter-Becken erhalten, der Beckenkopf mit Überlaufrinne erneuert, der Beckenboden angehoben (so dass von nun an der Wasserspiegel mit der Oberkante des Beckenkopfes identisch war), im Boden Düsen für die bessere Durchlüftung des Wassers eingebaut und das Becken sowie der Treppenbereich neu gefliest. Die kleinen Badegäste erhielten ein neu gestaltetes Planschbecken, und ein zusätzliches Kleinkindbecken mit zwei Wasserattraktionen entstand. Für behinderte Besucher wurde auf dem westlichen Teil des Schwallwasserbeckens ein Dusch- und Toilettenhäuschen gebaut. Als Attraktion entstand zusätzlich eine 45 m lange Großrutsche mit einer Starthöhe von 4,5 m. An einer digitalen Anzeige kann der Besucher Uhrzeit und Temperatur ablesen. Ein Beachvolleyballfeld gehört ebenfalls zur Ausstattung des Freibades an der Stelle des alten Volleyballnetzes. Dieses „neue“ Freibad konnte am 17. Juni 2000 durch Bürgermeister Gerd Lode und Bademeister Franz Steiner wieder eröffnet werden. Seit 2009 ist Tobias Steiner Bademeister. Bereits 1988/89 wurde im östlichen Teil des Gesamtgeländes ein Stück als Bolzplatz mit Verbindungspfad zwischen Konrad-Adenauer-Allee und dem Weg am Fuß des Kümmelbergs abgetrennt.
Literatur:
Gemeindevorstand der Gemeinde Reichelsheim (Odenwald), 700 Jahre Reichelsheim im Odenwald - Vom Marktflecken zur Großgemeinde, ISBN 3-00-010145-4, 2002, S. 537 ff., GAR, RRO
Verantwortlicher Autor:
[Kalberlah, Wolfgang A. W.]