Pfade - Das Pestpfädchen
Über diesen heute kaum noch nachvollziehbaren Weg berichtet Moritz Repp, pensionierter Lehrer der Reichelsheimer Schule, im Gemeindeblatt des evangelischen Kirchspiels Reichelsheim in „Der Heimat-Bote“ Nr. 4 vom April 1927 auf Seite 18:

pfädchen zwischen den Häusern 4 und 6
Foto: Wolfgang A. W. Kalberlah, 2023
„Wie die Überlieferung berichtet, trägt dieser Pfad seinen besonderen Namen seit der Zeit, als einmal die Pest in Reichelsheim gewütet und viele Opfer gefordert hat. Der Pest- und Seuchenjahre gab es aber in der Vergangenheit auch im Odenwald viele, und es wird nicht gesagt, welches Unglücksjahr gemeint ist. Das Pestpfädchen betritt man am bequemsten von der Darmstädter Straße aus, wo ein altes eisernes Türchen1 zwischen den Hofreiten Nr. 4 und 6 den Eingang bezeichnet. Beim Bebauen genannter Straße blieb der Fußweg wohl erhalten, wurde aber sehr eingeengt. Er drängt sich zwischen Gebäuden hindurch, überquert Mühlgraben, Damm und Mergbach und führt eine längere Strecke außerhalb der Grenzlinie von Alt-Reichelsheim hin. So konnte durch diesen Weg, sagen uns die lieben Alten, der Verkehr von der Straße im Gersprenztal hinüber nach dem Reichenberg und Dorf Eberbach aufrecht erhalten werden, wenn der Ort selbst der Seuche wegen zu meiden war.

Aufgang von der
Reichenberger Straße
zum Marktplatz
Foto: Wolfgang A. W. Kalberlah, 2023
Eine Abzweigung des Pfades führt über das „Heldegässchen“2 zum Markte3 hinauf4 und wird „Der alte Kirchenpfad“ genannt. In guten Zeiten diente der Pestpfad den Leuten aus dem „Grund“ als Weg zur Kirche ...“
Im September 2022 berichtete ein Reichelsheimer in Erinnerung an seine Jugendzeit von diesem Pfädchen, das er in den 1950er-Jahren wie folgt erlebte:
Das schmale Pfädchen, von der Darmstädter Straße ausgehend, führte zunächst zwischen den Häusern des Metzgers Philipp Beck (Haus-Nr. 6) und dem Nachbarhaus hindurch. Diese alten Gebäude standen damals noch nicht so eng beieinander wie ihre Nachfolgebauten heute. Der Pfad knickte hinter den Häusern in der Darmstädter Straße kurz nach rechts und dann wieder nach links ab direkt bis hinunter zum Mühlgraben. Es konnte auch von dem Anwesen in der Bismarckstraße 3 betreten werden, denn deren Besitzerin besaß gegenüber der Stelle, an der der Pfad an den Mühlgraben stieß, also zwischen dem Graben und dem Mergbach, einen Garten. Um ihn zu erreichen, existierte eine kleine Holzbrücke über das Wasser. Neben dem Garten floss – wie auch heute noch – ein Teil des Eberbachs, zunächst den Mergbach über eine Holzrinne hinter dem Backhaus Gorol (Bismarckstraße 11) überquerend, um dann, nachdem er die Gartengrenze passiert hatte, in den Mühlgraben zu münden.
Anmerkungen:
1 Heute ist der Gang zwischen den Häusern mit einem Holztürchen verschlossen.
2 Heute Reichenberger Straße
3 Heute → Rathausplatz
4 Aufgang zwischen den Häusern-Nr. 12 und 14 der Reichenberger Straße, mündet zwischen den Häusern-Nr. 3 und 4 des Rathausplatzes
Verantwortlicher Autor:
[Kalberlah, Wolfgang A. W.]