Ziegelei
Im Gewerbetagebuch von Reichelsheim ist Philipp Dingeldein VIII. ab 1. April 1901 eingetragen als Backsteinbrenner mit Feldbrennerei (d. h. er konnte einen Feldbrandofen betreiben) am Alten Weg (im Lageplan von 1905 als „Alter Gumper Weg“ bezeichnet), Baumaterialienhändler, Stein- und Braunkohlenhändler im Kleinen mit ständiger Niederlage und Dungstoffhändler im Kleinen.

dahinter die Stockbahnen,
im Hintergrund der Brennofen
Foto: Archiv Wolfgang A. W. Kalberlah
Am 10. April 1906 erhielt Philipp Dingeldein VIII. die Genehmigung zur Errichtung eines Brennoffens am Alten Weg, Gemarkung Reichelsheim, Flur XI, Nr. 140/3, 140/5 und 141. Er legte damit den Grundstein für den Betrieb einer Ziegelsteinfabrik auf dem von Friedrich Hering erworbenen Gelände.

Foto: Archiv Wolfgang A. W. Kalberlah
In unmittelbarer Nähe zwischen der heutigen Gartenstraße, der Straße Am Hochgericht und dem Alten Weg fand sich der als Rohmaterial begehrte Ton. Er wurde in Handarbeit abgebaut und mit Pferde gezogenen Loren zur Fertigungsanlage befördert. Dem Ton wurde Felsenkies aus dem unteren Alten Weg (Westend) zur Magerung beigegeben und mithilfe eines Göpelwerks vermischt.
Die mittels Formen per Hand hergestellten Ziegelsteine (auch Russe genannt, daher der Name „Russefabrik“) mussten in so genannten Stockbahnen auf dem Fabrikgelände in schmalen langen Reihen zur Lufttrocknung aufgeschichtet werden. Ein Dach hielt den Regen ab. Anschließend folgte der Brennvorgang in dem ungefähr 14 auf 14 m großen und 4,20 m hohen Brennofen, der zusätzlich mit einer Dachkonstruktion geschützt war. Aus der Genehmigungsschrift für den Ofen geht hervor, dass „die Herstellung von nächtlicher Schlafgelegenheit über dem Ofen und in dessen nächster Nähe, sowie die Anbringung von Ruheplätzen, auch ohne besondere Schlafeinrichtung, an diesen Stellen verboten“ war.
Der Ofen bestand aus zwei Kammern von je 9,50 m Länge und 4 m Breite. Als Heizmaterial dienten meist Wurzelstöcke, die von den Waldbesitzern nicht verwendet und von den Arbeitern der Fabrik geholt wurden. Zwei unterirdische Rauchabzüge führten zu dem 2,20 x 2,20 m großen und 18 m hohen frei stehenden Schornstein.
Zu dem Fabrikgelände gehörte ein weiteres direkt an der Straße (Alter Weg 13) errichtetes Gebäude, das einerseits den fünf bis sechs Beschäftigten als Aufenthaltsraum und andererseits den Pferden während des Tages als Unterstand diente. Die Tiere hatten ihren Stall in der zum Besitz Dingeldein gehörenden Kohlenhandlung am Flutgraben 4 (heute Firma Andreas Walther, Schrott-Metall-Papier-Entsorgung).

Helene-Göttmann-Straße 1
Foto: Archiv Wolfgang A. W. Kalberlah
In den Jahren 1908/09 entstand in der Helene-Göttmann-Straße 1 gegenüber der Einmündung zum Flutgraben das Verwaltungsgebäude für beide Firmen, die später von Sohn Georg Philipp Dingeldein weitergeführt wurden. Es ist in veränderter Form dort noch zu sehen.
Die Ziegelsteine konnten in weitem Umkreis bis zur Bergstraße und bis nach Groß-Umstadt verkauft werden, wohin sie die eigenen Pferdefuhrwerke brachten. Noch heute erinnern z. B. die Häuser in der Heidelberger Straße 43 und 51 sowie in Unter-Ostern (Grundstraße 76) an die Fabrikation dieser Steine. Sie wurde im Jahr 1939 eingestellt und die Gebäude am Alten Weg sind mittlerweile verschwunden.
Verantwortlicher Autor:
[Kalberlah, Wolfgang A. W.]