Anthes, Georg
Georg Christian Philipp Anthes wurde am 15. Juli 1821 zu Erda im Kreis Wetzlar geboren. Seine Eltern waren der Lehrer von Erda Johann Philipp Anthes und seine Ehefrau Marie Cleophea, geborene Colonius. Im Jahre 1824 zog der Vater nach Lich, wo Georg mit sieben Geschwistern (drei andere starben im frühen Alter) seine Jugend verlebte. Er besuchte die Schule des Vaters und erhielt bei ihm auch Klavierstunden und lateinischen Unterricht. Am 17. Oktober 1836 wurde er in die Sekunda des dortigen Gymnasiums aufgenommen und bestand im Oktober 1838, erst 17 1/4 Jahre alt, die Maturitätsprüfung.
Nach dem Studium in Gießen legte er sein theologisches Fakultätsexamen ab. Danach bezog er das Predigerseminar in Friedberg. Nach der zweiten Prüfung in Darmstadt kam er im Mai 1845 als Vikar nach Albig in Rheinhessen und wurde am 25. Mai ordiniert.

Im Herbst 1848 wurde er für ein Jahr als Pfarrverweser nach Reichelsheim im Odenwald versetzt. Am 25. Januar 1850 trat er die Stelle eines Erziehers bei den Söhnen des Grafen Eberhard zu Erbach-Erbach an; in dieser Stellung verblieb er fünf Jahre. Hier in Erbach lernte Georg auch seine zukünftige Lebensgefährtin, Wilhelmine Camerer aus Stuttgart, kennen. Diese war die Schwägerin des Fürstenauischen Kammerrats Klump und kam so auch ins Erbacher Schloss. Georg und Wilhelmine heirateten am 9. Januar 1855 in Kornthal bei Stuttgart.
Bereits im Dezember 1854 hatte Georg Anthes sein Dekret als Pfarrer von Vielbrunn erhalten, wo er Anfang Januar 1855 sein neues Amt antrat und eine reiche, gesegnete Tätigkeit entfaltete. Die Jahre, die er in Vielbrunn zugebracht hatte, sind wohl die glücklichsten seines Lebens gewesen. In dieserZeit starb sein Freund und Gevatter D. Reich, Pfarrer in Reichelsheim. Daraufhin bat der Graf in Erbach als Patron der Reichelsheimer Kirchengemeinde Georg Anthes die dortige Pfarrstelle zu übernehmen. Im Juli 1863 siedelte er dorthin über. Die Pfarrei war groß mit ausgedehnten Filialen und brachte, obwohl zwei Pfarrer da waren, viel und zum Teil beschwerliche Arbeit. Aber er lebte sich rasch in die neue Tätigkeit ein und wirkte auch hier mit reichem Segen.
1870 wurde in Reichelsheim ein Lazarett eingerichtet, dessen Leitung Pfarrer und Pfarrfrau übernahmen.
In der hessischen Landeskirche hatte zwar seit der Erweckungszeit die lutherische Richtung eine große Stärkung erfahren, sie konnte aber nicht verhindern, dass Anfang der 1870er-Jahre eine liberale Kirchenverfassung in Kraft trat. Zu den fünfzehn, die sich nicht nur mit Worten, sondern auch mit der Tat ihrer Einführung widersetzten und sich weigerten, sie zu befolgen, gehörte auch Georg Anthes. Man nannte sie Renitente. Dieser Widerstand brachte ihm nach fruchtlosen Verhandlungen am 22. August 1874 die Suspension von Amt und Gehalt. Mit seiner Frau und sieben Kindern stand er brotlos da; es kamen Zeiten schwerer Not und großer Sorgen. Eine kleine Schar treuer Gemeindeglieder sammelte sich um ihn, denen er Bibelstunden hielt. Das brachte ihm Geldstrafen, Pfändungen, Belästigungen und Verfolgungen aller Art ein.

links die heutige Michaelskirche, rechts
unten die Christuskirche und rechts oben
Schloss Reichenberg.
Foto: Archiv RRO-FAR- 0-02-003 RE
Während der Suspension gingen die mündlichen und schriftlichen Verhandlungen mit den kirchlichen Behörden weiter, aber weder Drohungen noch Versprechungen konnten seine Standhaftigkeit erschüttern. So kam es am 26. Juni 1875 zur Absetzung. Nach 39-jähriger tadelloser Amtsführung wurde ihm das Amt genommen. Pension wurde ihm nicht gegeben. Binnen sechs Wochen musste er mit seiner Familie das Pfarrhaus verlassen. Wohin sollte er sich wenden? Da ein kleiner Bruchteil der Gemeinde mit ihm an der lutherischen Kirche festhielt, traf er den schweren Entschluss, nicht anderwärts sich Amt und Brot zu suchen, sondern auf seinem Posten auszuharren. Graf Eberhard zu Erbach hatte sich in den kirchlichen Kämpfen auf die Seite seines Pfarrers gestellt und bot ihm Hilfe an: Auf dem bei Reichelsheim gelegenen Reichenberg, einer alten Burg der Erbacher Grafen, wurden in aller Eile in einem der noch vorhandenen Gebäude (der Hauptteil der Burg lag in Trümmern) eine Wohnung für die Pfarrfamilie und ein Saal zum Gottesdienst hergerichtet.
Da die kleine Gemeinde für Georg Anthes nicht genug Arbeit bot, um ihm den nötigen Unterhalt zu gewähren, hatte er sich schon gleich im Anfang der Verfolgungszeit neben seinem Pfarramt einer neuen Tätigkeit zugewandt. Er nahm Pensionäre ins Haus, zuerst einzelne, dann wurden es durch die vielen persönlichen Beziehungen, die die Familie in weiten Kreisen hatte, immer mehr. Das Haus bot auch die Möglichkeit, nach und nach je nach Bedürfnis immer mehr Räume für die wachsende Zahl der Bewohner herzurichten. Die erwachsenen Töchter, die das Lehrerexamen gemacht hatten und im Ausland gewesen waren, später auch die Söhne als Studenten und Kandidaten halfen den Eltern, die beide geborene Lehrer und Erzieher waren, beim Unterricht. So entstand allmählich das Pensionat Reichenberg, ganz im Anfang für Mädchen, bald aber für Knaben, Viele Zöglinge waren Ausländer, aus England, Frankreich, Holland und Russland.
Im Jahre 1880 bildete sich auch eine selbstständige lutherische Schlossgemeinde in Erbach, zu deren Pfarrer er berufen wurde. So hatte er alle 14 Tage in Erbach zu predigen. Dadurch trat er auch in seelsorgerische Beziehung zu den meisten Gliedern des gräflichen Hauses, wodurch die freundschaftlichen Beziehungen verstärkt und vertieft wurden. Er wohnte bei seinen amtlichen Besuchen im Schloss und stand dem gräflichen Hause in großer Treue zur Seite. Später ernannte ihn Graf Georg Albrecht zum Hofprediger.
Im Winter 1889/90 befiel ihn ein gesundheitliches Leiden. Infolgedessen trat ihm im Herbst 1890 sein zweitältester Sohn im Pfarramt und Pensionat zur Seite, nachdem die unter seiner Leitung neu erbaute Evangelisch-Lutherische Christuskirche in Reichelsheim vorher noch eingeweiht worden war. Bis 1894 beteiligte er sich an der Leitung des Reichenbergs, dann nötigten ihn die zunehmenden Altersbeschwerden den ihm so lieb gewordenen Reichenberg zu verlassen und in Reichelsheim Wohnung zu nehmen. Sein Pfarramt in Reichelsheim und Erbach konnte er mit Hilfe seines Sohnes noch bis Anfang 1898 führen nachdem er 1895 sein 50-jähriges Amtsjubiläum gefeiert hatte.
Am 22. März 1901, fast achtzigjährig, verstarb er.
Heute erinnert in der Gemeinde Reichelsheim ein Straßenname in der Nähe der Christuskirche an ihn.
Der Rückblick lehnt sich an die Aufzeichnungen seines Sohnes und Superintendenten Siegfried Anthes an.
Verantwortlicher Autor:
[Wendel, Horst]