Lexikon Reichelsheim (Odenwald)

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  Pfade - Zum Reiterspfad

Für die Menschen, die früher vom Marktplatz in Richtung Fränkisch-Crumbach oder Gersprenz gelangen und die sumpfigen Täler meiden wollten, gab es ein – auf seinem ersten Teilstück heute ausgegangenes – Pfädchen. Um diesen Weg zu begehen, musste man den Marktplatz (oder besser: die Kirchstraße, wie der östliche Teil des Marktplatzes damals hieß) in Richtung Bäckergasse (heute Beerfurther Straße) verlassen. Noch auf dem Abstieg zweigte zwischen Haus Nr. 4 und der benachbarten Scheune der Pfad ab. Er führte zum Eberbächelsteg, also einer kleinen Brücke über den Eberbach im Bereich der heutigen Konrad-Adenauer-Allee auf Höhe des Eingangs zum Reitplatz. Von diesem Stück des Weges werden wunderliche Dinge berichtet, so von blauen und roten Flämmchen. Auch von einem Goldfeuerchen auf dem verwaisten Hausplatz im Schwanengarten ist die Rede, das ab und zu gegen Mitternacht brannte. Rätsel gibt der 1878 aufgefundene Degen aus dem 30-jährigen Krieg auf. Nach dem Eberbach erreichte der Pfad den Seegrund und führte auf dem „hohen und breiten Damm“ zwischen dem mittleren und dem unteren Teich hinüber zum Schlosswald. Später wurde der Weg ersetzt durch die Verbindung, die sich zwischen dem Sportplatz zur linken Hand und der Reithalle zur Rechten hinzog. Auch sie ist heute im Rahmen der Umwidmung des Sportplatzes in den Reitplatz verschwunden.

Der restliche Pfad beziehungsweise Weg ist heute noch zu begehen. Er windet sich im Wald zickzackförmig den Hang, also den Fuß des Kümmelbergs, hinauf, dort, wo heute das Denkmal zur Erinnerung an den beim Brand der Kantorei umgekommenen Oberlehrer Bormuth steht. An seinem Ende, der früheren Weilandsruhe, trifft er auf den Fahrweg zum Schloss. Wendet man sich dort nach links, führt der Weg am „alten Bruch“ vorbei, der Bausteine für das Schloss geliefert haben soll und wo in den 1930-Jahren der Schotter für den Ausbau des Weges am Schwimmbad (heute Konrad-Adenauer-Allee) geholt wurde. Auch an dieser Stelle wagte sich in früheren Zeiten niemand nach 23 Uhr vorüber, denn da huschten Lichter hin und her und man wurde in die Irre geführt. Vielleicht deshalb, weil dort einmal etwas geschehen sein soll, was nicht Recht war. Am Ausgang des Waldes rechter Hand des Fahrweges war früher das Kaplansbrünnchen zu finden mit einer Ruhebank dabei. Möglicherweise handelt es sich um die heute noch dort sprudelnde Quelle.

Reiterspfad k
Blick vom Reiterspfad
über den Odenwald

Foto: Wolfgang A. W. Kalberlah, 2022

Verlässt man kurz darauf den Weg zum Schloss und hält sich geradeaus, erreicht man nach kurzem Anstieg das „Weedseechen“, den kleinen Teich, auf dessen Steintritten die Mädge des Schlosses ihre Wäsche wuschen und die Pferde getränkt wurden, bevor sie diese im gegenüberliegenden Lustgarten von Wind und Sonne trocknen ließen. Auf der Höhe erreicht man den alten Reiterspfad und lenkt seine Schritte in Richtung Fränkisch-Crumbach, Gersprenz oder gar hinunter nach Pfaffen-Beerfurth.

Dieser Reiterspfad ist der alte herrschaftliche Reit- und Botenweg, der nach der Überlieferung von Bad König bis nach Schönberg bei Bensheim führte. Auf ihm konnte man von Beerfurth über die Beerfurther Höhe und den Klingenberg nach Eberbach („unten durch zur anderen Seite hinüber“) und von dort zur Freiheit nach Laudenau gelangen. Die Pferde wurden dann am Reitersbrunnen oberhalb von Winterkasten getränkt.

Pfarrer Ludwig Klingelhöffer merkt dazu im „Heimat-Boten“ an:

„Unser Glöckner, Herr Adam Röder, sagte mir, er erinnere sich aus seiner Kindheit noch sehr gut, wie er mehrere Jahre nacheinander einen Mann gesehen habe, der auf dem Reiterspfad einen Rehbock von König nach Schönberg ins dortige Schloß getragen hätte. Er sähe den Mann noch deutlich vor Augen, den schweren Rehbock um den Hals über die Schultern gelegt! Das könnten schon siebzig Jahre her sein. Röder selbst hätte den Pfad später ungezählte Male auf seinen Gängen zu den Bergsträßer Märkten benützt.“

 

Literatur:
„Der Heimat-Bote“,
Gemeindeblatt des evangelischen Kirchspiels Reichelsheim im Odenwald, Nr. 4, April 1927, S. 18

 

Verantwortlicher Autor:
[Kalberlah, Wolfgang A. W.]