Färberhandwerk
Färbermeister Johann Friedrich Hof(f)mann gab der Ortsbehörde um 1740 seinen Entschluss kund, eine Färberei in Reichelsheim einrichten zu wollen. Nach Prüfung der Personen- und Vermögensverhältnisse wurde sein Handwerk zugelassen. Die Landwirte bauten damals und noch bis kurz nach dem Ersten Weltkrieg die Gespinstpflanze Flachs oder Lein, auch Hanf, an. Die daraus gewonnenen Fasern wurden zu Tuch, Leinen, gewebt. Manchmal kann man heute noch unbenutztes Leinen aus der Aussteuer der jungen Mädchen um 1900 und früher finden.
Rohleinen war hellgrau. Für Kleider, Hosen, Röcke und Schürzen wurde es eingefärbt. Durch die Reichelsheimer Färberei hatten die Bewohner die Möglichkeit, ihre Stoffe - Leinen und Kattun - in der eigenen Gemeinde einfärben zu lassen. In der hiesigen Gegend herrschte die blaue Farbe vor, für die man bereits seit 1700 überwiegend Indigo verwendete. Hierzu wurde der Naturstoff Indigo mit einem Stößel zermahlen, anschließend gekocht und nach weiteren Rezepturen des Färbers aufbereitet. Dieser hängte dann die angelieferten großen Tuche an einen Eisenkranz, dem Sternreifen, und tauchte sie damit in die in einem Bottich angestzte wässrige Farblösung, die Farbküpe. Die Intensität und Qualität der auf diese Weise erzeugten Färbung hing von der Menge des eingebrachten Indigos, der Temperatur der Farblösung und der Dauer bzw. Häufigkeit des Eintauchens in die Farbe ab.
Diese Arbeit verrichtete der Färber in seinem so genannten Färbhaus. Es stand meist in der Nähe eines Baches, denn die Stoffe mussten anschließend noch ausgewaschen werden. Dazu war das Gewässer ein wenig angestaut und man ließ sie entweder eine Strecke durch das Wasser schwimmen oder hängte sie lediglich hinein.

Straße 10
Foto: Archiv RRO-FAR-1-12-012 RE
Meist davor oder auch teilweise danach wurde das Tuch vom Färber bedruckt. Dazu dienten Model, auf denen Muster durch hervorstehende Holzschnitzereien oder Stahlstifte erzeugt wurden. Der Druckvorgang war langwierig, weil die Muster genau aneinander gefügt werden mussten.
Der Beruf des Färbers stand also in enger Verbindung zur handwerklichen Herstellung von Tuchen, der Handweberei und der Hosenmacherei und erlebte im Odenwald nach vorliegenden Statistiken wohl im 18. und 19. Jahrhundert seine größte Blüte. Es ist nicht überliefert, dass der Reichelsheimer Färber Stoffe aufkaufte, einfärbte und dann damit Handel trieb, in dem er seine Ware auf den Dörfern verkaufte. Hierzu gab es spezielle Tuchhändler.
Der Färbermeister Johann Friedrich Hof(f)mann heiratete, nachdem seine beiden ersten Frauen verstorben waren, in dritter Ehe die Witwe des Johann Jakob Röder aus Laudenau, Anna Katharina, geb. Schach. Ihr Sohn, Christian Röder (* 26. Juni 1746, † 22. Dezember 1797), führte später die Färberei seines Stiefvaters fort.

Kreuzung Darmstädter Straße, Bahnhof-
straße und Konrad-Adeneuer-Allee;
an der Stelle des Hauses Röder steht
heute die Sparkasse (rechts);
Foto: Wolfgang A. W. Kalberlah, 13.08.2004
Vielfach war der Beruf zugleich auch Pate für die Bezeichnung einer Familie. So nannte der Volksmund die Familie Röder „es Färwersch“, was sich über Carl August Wilhelm Röder (* 12. Januar 1779, † 8.12.1850), den Sohn von Christian Röder, auf dessen Sohn Johannes Röder (* 1806) und seine Familie übertrug. Beide traten in die Fußstapfen ihrer Väter und setzten den Handwerksberuf fort. Letzterer baute 1843 ein Haus in der Darmstädter Straße, wo heute die Einmündung in die Konrad-Adenauer-Allee zu finden ist. Der hinter dem Anwesen entlangfließende Mühlgraben bildete einen Teil der Voraussetzungen für die Ansiedlung. Johann Jakob Röder (* 1837, † 1880) setzte die Folge der Färber fort; auch dessen Bruder Georg Heinrich erlernte das Färberhandwerk; eine zweite Färberei entstand. Mit Johann Jakobs Sohn Georg Röder III. (* 21. August 1874, † 11. März 1947) endete dieses Handwerk in unserer Gemeinde. Aber bei den älteren Einwohnern sind die heutigen Enkel und Urenkel immer noch „es Färwersch“ auch wenn sie den Namen Schnellbächer tragen. An der Mauer zum Hof befand sich später eine Tankstelle und in einem Seitengebäude eine Heißmangel.
In anderer Namensform lebt die Erinnerung an den ehemalige Färberberuf zum Beispiel noch in Groß-Bieberau weiter. Ein Bruder von Carl August Wilhelm Röder, Johannes Röder (* 1787, † Mai 1858), zog 1824 dort hin und errichtete am hellfließenden Flurbach ein stattliches Haus mit Scheuer, Stallung und einer Färberwerkstatt. Er war ein tüchtiger Färber und weithin bekannt. Später wurde in seinem Haus eine Gastwirtschaft eingerichtet. Noch heute gehen die Einheimischen nicht in die „Blaue Hand“, die als sichtbares Zeichen auf der Hauswand prangt, wenn sie dort einkehren, sondern in „die Farb“.
Verantwortlicher Autor:
[Kalberlah, Wolfgang A. W.]