Reichenberger Straße
Die Reichenberger Straße, die Verbindung zwischen der Bismarckstraße und der Beerfurther Straße, trug früher den Namen Seegasse, da sie zu den drei Seen am Fuße des Reichenbergs führte. Weitere überlieferte Namen sind „Bendersgäßchen“ und „Heldegäßchen“. Der erste Name geht vermutlich auf eine Familie Bender zurück, die in den alten Güter- und Zinsbüchern (Abschriften von Friedrich Höreth) von 1503 bis ca. 1616 als Hubenbesitzer in Reichelsheim nachweisbar ist.
Die Gasse war ursprünglich ein schmaler Pfad, der im Laufe der Jahre offensichtlich immer häufiger genutzt wurde. Daher bestand 1821 die Absicht, eine Verbreiterung durchzuführen. Seinen Verlauf muss man sich etwas näher an der Kirchenmauer als heute vorstellen.

8 bis 16 auf der linken Seite
Foto: RRO-FAR-1-06-001 RE
Aus den Akten des Gemeindearchivs geht hervor, dass diese Erweiterung auf Schwierigkeiten stieß. Die Häuser Bismarckstraße 23 (damals noch Nr. 15) und 25, zwischen denen die Gasse begann, waren mit ihren Anbauten (Schweinestall, Scheuer und Misthaufen des Anwesens Nr. 25 (Bäckerei und Gaststätte „Zum Deutschen Kaiser“, später „Zum Hirsch“, Johann Balthasar Weimar „Hambals“), sowie Hof und Garten von Nr. 23 (Hirschwirt Johannes Dingeldein, später „Schitzemiggels“)) im Weg und ließen lediglich einen Durchgang von 9 Schuh (zwischen 2,5 m und 3 m) übrig. Keiner der Betroffenen wollte ein Stück abgeben bzw. Bauten niederlegen oder ein Durchfahrtsrecht über sein Grundstück dulden. Zwischen den beiden Anliegern, der Bürgermeisterei und dem Regierungsamt in Erbach entstand ein reger Briefverkehr.
Zusätzlich bildete das Haus des Barbiers, Seifensieders und Heilgehilfen (später auch Chirurg) August Held, das dieser um 1821 als nächstes auf der linken Seite an der Kirchenmauer errichte (heute Reichenberger Straße 6 A), ein Hindernis. Nach ihm trug die Gasse im Volksmund auch die oben erwähnte Bezeichnung „Heldegässje“.
Im Laufe des Jahres 1827 konnte man sich dann endlich gütig einigen und dem Ausbau der Gasse stand nichts mehr im Weg. Sie wurde ein wenig von der Kirchenmauer abgerückt und alle Anwohner, bis hin zum Stelzenhaus in der Beerfurther Straße 5, mussten dafür ein Stück Land abgeben. Für die Bauarbeiten waren 25 Fuhren Steine und 50 Fuhren Sand nötig.
Gegenüber den Häusern 6 und 8 zweigt ein Fußpfad ab, auf dem heute die Konrad-Adenauer-Allee auf Höhe der Reichenberghalle erreicht werden kann. Dieser Pfad führte einst zu den im Jahr 1930 als „neue Gärten” bezeichneten Grundstücken und endete stumpf am Eberbach. Da er nur über den entlang der Reichenberger Straße fließenden Mühlgraben erreicht werden konnte, wurde im Jahr 1931 für 98 Mark eine „Notbrücke” aus Beton über den Graben errichtet, die in ihrer Form heute noch erhalten ist. Sie liegt direkt an der Mauer des damaligen jüdischen Badehauses.
Literatur:
GAR: Reichelsheim XXVI K5 F3; K6 F31; K7 F12
Erika Hörr im Schnellerts-Bericht 2001, S. 42, GAR, RRO
Verantwortlicher Autor:
[Kalberlah, Wolfgang A. W.]