Nagelschmiede
In Reichelsheim ist ein Nagelschmied nachgewiesen und die Bezeichnung „Naoggelschmitts“ für die Familie Jost in der Laudenauer Straße 11 (Gasthaus „Zum Stern“) kommt nicht von ungefähr. Die Kirchenbucheintragungen belegen für das Jahr 1777 Johann Georg Jost (* 06.06.1738 Erzbach, † 31.03.1809 Reichelsheim) als Beisass und Nagelschmied. Er kann als der Gründer der dortigen Nagelschmiede angesehen werden, denn für seinen Vater Johann Konrad existiert kein Eintrag, der auf diesen Beruf hinweist. Die Unterlagen des Jahres 1830 berichten dann von Johann Georgs Sohn Johann Ludwig Jost (* 23.07.1780 Reichelsheim, † 28.08.1857 Reichelsheim) und bezeichnen ihn als Nagelschmied, Spezereikrämer und Landwirt. 1834 tritt dann zusätzlich noch die Bezeichnung Straußenwirt (in der Regel der Wirt, der im Ausschank eigenen (neuen) Wein bereithält und dies durch Zweige (Strauß) am Haus nach außen hin kenntlich macht) hinzu. Zehn Jahre später, 1844, ist über Johann Ludwig und seinen Sohn Valentin Jost (* 02.11.1814 Reichelsheim, † 04.04.1877 Reichelsheim) nachzulesen: Bier- und Branntweinwirt, Spezereikrämer, Nagelschmiede, Hausierhandel mit Nägeln. Ihnen folgt in der Familiengeschichte Georg Jost (* 29.12.1840 Reichelsheim, † 18.08.1918 Reichelsheim). Auch bei ihm tauchen die Eintragungen „Nagelschmiede und Hausierhandel mit Nägeln“ auf. Erst 1926 geht dieser Gewerbezweig mit Johannes IV. Jost (* 13.08.1870 Reichelsheim, † 30.03.1926 Reichelsheim) zu Ende. Danach ist im Jahr 1936 für Leonhard Jost (* 22.03.1909 Reichelsheim, † 16.03.1972 Reichelsheim) nur noch Gastwirtschaft, Lebensmittel und Landwirtschaft verzeichnet.

Laudenauerstraße 11
um 1900; vor dem Eingang
zur Schmiede steht die
Familie Jost, vor dem
Nachbarhaus Nr. 9 (rechts)
ist die Mistgrube zu
erkennen. Der dicke
Schornstein vorn ist der
Rauchabzug der Esse.
Die Wirtschaft "Zum
Stern" befand sich im
ersten Stock.
Foto:
Archiv RRO-FAR-1-04-012 RE
Aus dieser Chronologie lässt sich unschwer ablesen, dass der Beruf des Nagelschmiedes allein eine Familie nicht ernähren konnte. Die für den Odenwald charakteristische Landwirtschaft gehörte ebenso dazu wie weitere Einkunftsmöglichkeiten; hier die Gastwirtschaft und der Lebensmittelverkauf. Die Schmiede der Familie Jost lag im Untergeschoss des Hauses Nr. 11. Das Nachbarhaus Nr. 9 (Besitzer Ewald) mit der Mistgrube davor wurde später hinzugekauft. Von der Sandhol (auch Sandhohl; der Laudenauer Straße) trat man eine Stufe hinunter und stand unmittelbar bei der Esse, dem Amboss und dem Blasebalg. Letzterer wurde durch ein Laufrad angetrieben, das ein Foxterrier in Bewegung setzte.
Der Amboss war speziell für die Nagelherstellung eingerichtet: Auf der Oberseite eines meist hölzernen Klotzes war eine eiserne Form angebracht. Sie wies eine senkrecht verlaufende Vertiefung auf, die die Länge und Form eines Nagels hatte. Ein dünner, in der Esse vorbereiteter Eisenstab wurde nun dort hineingesteckt und durch Einschagen mit dem Hammer vorgeschmiedet. Danach musste noch der Kopf geschmiedet, das heißt zurechtgehauen werden. Seine Form hing wesentlich von der späteren Verwendung des Nagels ab. Vier- oder sechskantige Flachköpfe herrschten vor.

um 1933; hinter ihm die Schmiede
und Wirtschaft, rechts davon
das später hinzugekaufte Haus.
Foto: Archiv RRO-FAR-1-04-006 RE
Die Nägel fanden vielerlei Verwendung, so zum Beispiel als Beschläge an den Pferdewagen, an Leitern und den zahlreichen aus Holz produzierten Arbeitsgeräten. Aber auch bei der Schuhherstellung und -reparatur setzte man sie neben Holznägeln ein. Nicht zu vergessen ist der Hausbau. Die Nagelschmiede konnten nicht allein auf den Verkauf aus ihrer Werkstatt vertrauen, vielmehr machten sie sich mit ihren Produkten auf den Weg und boten sie in der näheren und weiteren Umgebung an. Den Verkauf von Nägeln aus der Schmiede des oben genannten ersten Nagelschmiedes belegt eine Rechnungsübersicht vom 25.7.1781. Sie betrifft den Bau des Forsthauses „Reichenberger Busch“ in Fronhofen (heute Schimpf, linker Hand der Straße zum Leimberg-Friedhof). Es wurde im Auftrag des Grafenhauses für den Waldförster Johann Peter Rausch errichtet. In der Übersicht ist unter Position 11 nachzulesen: „Johann Georg Jost von Reichelsheim hat vor gelieferte Nägelwaar bezahlt erhalten laut Spezification Quittung: 11 fl. 41 kr.“ Auch am Tor zum Schloss Reichenberg sind noch heute Nägel des Reichelsheimer Nagelschmiedes zu sehen.
Das in der Chronik erwähnte Lebensmittelgeschäft (Spezereikrämer) befand sich im hinteren Teil des Hauses und konnte über einen seitlichen Eingang betreten werden. Schmiede und Geschäft wurden vom heutigen Nachfahren Peter Jost im Jahr 1965 abgerissen, um dem gegenwärtigen Anwesen Platz zu geben. Während die Schmiede, die bekanntlich seit 1926 nicht mehr genutzt wurde, nicht wieder erstand, betrieb die Familie Jost den Lebensmittelverkauf noch bis zum Jahr 1984.
Verantwortlicher Autor:
[Kalberlah, Wolfgang A. W.]